Société Genevoise d’Études Allemandes

Achim Doerfer (Göttingen) liest aus «Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen»

Gesprächsführung: Hazar Oghan (UNIGE)

Foto (c): privat.

Schuld, Scham, Angst, Trauer – das Erinnern der Shoah ist in Deutschland untrennbar mit den Rezeptionserwartungen des deutschen Nachkriegspublikums und dem Versprechen deutsch-jüdischer Versöhnung verwoben. Wut, Zorn, Hass, Unversöhnlichkeit verwehren hingegen die ersehnte Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit – und so werden die damit verbundenen Aspekte weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt.

Achim Doerfer, Nachkomme von Shoah-Überlebenden, widmet sich in seinem Buch mit dem Untertitel „Die Rache der Juden, das Versagen der deutschen Justiz nach 1945 und das Märchen deutsch-jüdischer Versöhnung“ dieser historiographischen Leerstelle. Er geht den zahlreichen Geschichten von Widerstand und Racheaktionen in den Ghettos Osteuropas, bei den jüdischen Partisanengruppen oder bei der jüdischen Brigade der britischen Armee nach. Deutlich wird: Die einseitige Zuschreibung  einer rein passiven Opferrolle ist unhaltbar. Angesichts des justiziellen und politischen Versagens Deutschlands in der Nachkriegszeit werden auch Unversöhnlichkeit und Verlangen nach Vergeltung nachvollziehbar: Der weiterhin virulente Antisemitismus, die Verschonung und  Wiedereingliederung der Täter*innen sowie eine (Rehabilitations-)Politik, die auf einen Schlussstrich abzielt und Versöhnung als Ergebnis voraussetzt, hinterlassen die Überlebenden und ihre Nachkommen enttäuscht.

Achim Doerfer (*1965) studierte Jura und Philosophie in Göttingen und Freiburg und ist heute als Rechtsanwalt, Rechtsphilosoph und Publizist tätig. Nach seiner Promotion mit Forschungsaufenthalten an der Cornell sowie Harvard Law School eröffnete er 1997 eine Anwaltskanzlei in Göttingen. Er engagiert sich im muslimisch-jüdischen Dialog und publiziert regelmäßig zu Fragen der angewandten Rechtsphilosophie, u.a. als Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg, in der „Jüdischen Allgemeinen Zeitung“ und in seinen Büchern: Die Steuervermeider (2014), Die große Abzocke (2016) und Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen (2021).

In Zusammenarbeit mit dem Département de langue et de littérature allemandes, Université de Genève.